Kalchschmids Albenpanorama

12/2025

Für den Start ins neue Jahr empfehlen wir eine perfekte Wahnsinnsarie, eine «Winterreise» mit zwei Gitarren und eine faszinierende Mischung von alt und neu in hohen Tönen

Klaus Kalchschmid • 17. Dezember 2025

Gaetano Donizettis «Lucia di Lammermoor» ist unter den ernsten Opern des Komponisten nicht nur die erfolgreichste, sondern wohl auch die beste und melodienreichste, weshalb sie immer wieder gespielt und eingespielt wird, zumal wenn man eine Protagonistin hat wie Lisette Oropesa. Diese Koloratursopranistin singt schlicht perfekt, besitzt eine mühelose Höhe und ebensolche Spitzentönen, was manchmal ein wenig auf Kosten des Ausdrucks geht.

Bei ihrem Geliebten Edgardo ist es gerade umgekehrt. Das tenorale Material von Stefan Pop ist nicht ganz so kostbar gülden wie das von Oropesa, dafür ist er ein Ausdrucksmusiker par excellence, ja er übertreibt manchmal beinahe. Schon gleich zu Beginn, wenn er vom Schwur am Grab seines Vaters erzählt, überzeugt das: „Sulla tomba …io giurai nel mio furore.“ Im Verlauf der Oper wird er immer intensiver, und auch Oropesa kann ihrer Wahnsinnsszene (leider nicht mit Begleitung der Glashamonika) in jeder Hinsicht gerecht werden, in der Virtuosität ganz Mittel zum Zweck des Ausdrucks ist.

Mattia Olivieri, ein glutvoller, intensiver Bariton als Lord Enrico Ashton (Lucias Bruder), verteidigt mit allen Mitteln die Familienehre und zwingt Lucia zur Hochzeit mit Arturo (Didier Pieri) – mit den bekannten Folgen, dass Lucia ihren Gatten im Ehebett ersticht. Als Vermittler versagt leider Raimondo, der Vertraute Lucias, von Riccardo Zanellato mit durchdringendem, aber schlankem Bass gesungen. In der kleinen Partie des Normanno überzeugt der junge Tenor Dean Power. Das Orchestra del Teatro Massimo Bellini di Catania beweist unter Leitung von Fabrizio Maria Carminati auf dieser SACD einer Studioaufnahme in jedem Takt musikdramaturgisches Gespür und agiert so solide wie der Chor. (EuroArts)


Franz Schuberts «Winterreise» gibt es in vielen Bearbeitungen der Begleitung, ob als Klaviertrio, Streichquartett, Saxophonquartett, Kammerorchester, mit Drehleier oder gar als „komponierte Interpretation“ durch den Komponisten Heinz Holliger, der den Klavierklang transformiert und auffächert durch zeitgenössische Klänge. Auch mit einer Gitarre als Begleitung gibt es diesen Liederzyklus auf CD, und ab sofort sogar mit zwei Gitarren.

Der Vorteil: Man muss an der musikalischen Substanz keinerlei Abstriche machen, und auch das Klangvolumen an den entsprechenden Forte- oder Fortissimo-Stellen ist bemerkenswert. Bald hat man bei Davide Giovanni Tomasi und Marco Musso, dem Tomasi Musso Gitarrenduo, vergessen, dass man auf den vertrauten Klavierklang verzichten muss, zumal einzelne Lieder eine besondere Färbung erhalten, so nicht erst der „Leiermann“, sondern auch schon die fein gezupften Akkorden etwa von „Auf dem Flusse“ faszinieren.

Der junge Bariton Jonas Müller vermag mit seiner biegsamen, ebenso warmen wie farbenreichen Stimme den Gefühlsschwankungen des lyrischen Ichs große Vielschichtigkeit zu verleihen. Dabei übertreibt er nie, verfällt nie in Naturalismus, sondern vermag mit in allen Lagen tragfähiger Stimme stets ganz natürlich zu artikulieren und zu phrasieren. Das deutsch-englische Booklet verzichtet auf die Liedtexte. (Oehms)   


„Refound“ nennt sich die faszinierende Mischung von alt und neu, Bearbeitung von Volksliedern oder Verwendung altertümlicher Texte des jungen Countertenors Hugh Cutting auf seinem neuen Album. So treffen ganz moderne Lieder (von Piers Conner Kennedy, geboren 1991: „Rough Rhymes“) auf altertümelnde, Ravel (aus den Cinq Mélodies populaires grecques) auf Hugo Wolf (Fußreise, Anakreons Grab, Gesang Weylas), Reynaldo Hahn und Dvořák (aus den Biblischen Liedern), Ralph Vaughan Williams und Amy Beach (Three Browning Songs) auf Spanisches von Joaquín Rodrigo und Gaetano Lama.

Und mit Mel Bonis lässt sich ein weiterer Komponist entdecken. Untergründige Verbindungslinien gibt es ebenso wie offensichtliche Kontraste. Hugh Cutting vermag mit der nicht minder exzellenten Audrey Hyland am Flügel, der große Teile des Konzepts zu danken sind, nicht nur in den verschiedenen Sprachen (neben seiner Muttersprache Englisch Deutsch, Französisch, Spanisch und Tschechisch) stilsicher zu artikulieren, sondern er besitzt einen wunderbar klangvollen Countertenor mit sicherer Höhe und feinem Vibrato im Fortissimo, der sich jeder Sprache und jeder musikalischen Diktion traumhaft schön anpassen kann. Einen Musical-Song (Tom Lehrers „Poisoning pigeons in the park“) singt er gar in Baritonlage, bevor er mit Franz Schuberts „Abschied von der Erde“ endet, gesprochen zur Musik auf Englisch! Die Liedtexte gibt es im Booklet im Original und in englischer Übersetzung. (Linn)