Komische Oper Berlin
Heute siegt das Gute
Es fetzt ordentlich in Martin G. Bergers semiszenischer Einrichtung von Guido Masanetz‘ «In Frisco ist der Teufel los», der diesjährigen Weihnachtsproduktion
Albert Gier • 27. Dezember 2025
Zu Weihnachten gibt es Geschenke. In Berlin beschenkt die „KO“ ihr Publikum seit Jahren mit einem besonderen Schmankerl, der „semikonzertanten“ Aufführung einer Rarität: Das Orchester sitzt auf der Bühne, die Sänger, in sehr attraktiven Kostümen von Esther Bialas, agieren in einem eher schmalen Korridor vor den Musikern, der Chor ist hinter dem Orchester positioniert. Es gibt kein Bühnenbild, aber Video-Projektionen von Filmaufnahmen aus dem Berlin der 1950er-Jahre. In der Corona-Zeit haben wir uns an solche minimalistischen Inszenierungen gewöhnt, es funktioniert oft, wie auch hier, erstaunlich gut.
Die Komische Oper nimmt sich verdienstvollerweise neuerdings des „heiteren Musiktheaters“ der alten DDR an, das seit der Wiedervereinigung 1989 auch in den neuen Bundesländern von den Bühnen verschwunden ist. Der Terminus „heiteres Musiktheater“ wurde Anfang der 1950er-Jahre erfunden, um die DDR-Operette von der als „spätbürgerlich“ verschrienen Operette der Zwischenkriegszeit abzugrenzen. «In Frisco ist der Teufel los» von dem 2015, im gesegneten Alter von 101 Jahren verstorbenen Guido Masanetz war nicht nur für den Komponisten der größte Erfolg: mehr als 70 Inszenierungen und mehr als 1000 Aufführungen in der DDR, einige weitere im sozialistischen Ausland, kein anderes der rund 200 Werke des „heiteren Musiktheaters“, die bis zur „Wende“ 1989 entstanden, erreichte auch nur entfernt vergleichbare Zahlen.
Insofern kann man sich fragen, ob mit der Aufführung zu Weihnachten nicht eine Chance verschenkt wurde: Die semikonzertanten Stücke werden in der Regel nur zweimal gespielt. 2024 gab es «Robinson Crusoé» von Jacques Offenbach; das leuchtet ein, der Opéra-comique enthält natürlich schöne Musik, gehört aber nicht zu Offenbachs stärksten Werken, da sind zwei Aufführungen genug. Bei «Frisco» war die Kartennachfrage so groß, dass kurzfristig eine dritte Aufführung angesetzt wurde. Im Juni und Juli spielt die Komische Oper künftig DDR-Stücke im Art-Déco-Spiegelzelt „Queen of Flanders“ am Roten Rathaus (2024 wurde, mit großem Erfolg, «Messeschlager Gisela» von Gerd Natschinski gegeben), da gibt es wohl knapp zehn Aufführungen, immer noch nicht viel, aber besser als zwei oder drei. Für 2026 ist die Uraufführung einer Revue als Hommage an die in der DDR sehr beliebte Fernseh-Unterhaltungssendung „Ein Kessel Buntes“ vorgesehen; vielleicht hätte man «Frisco» besser in diesem Rahmen präsentieren sollen.
Handelt es sich eigentlich um eine Operette – oder um ein Musical? Die Ansichten sind geteilt. Seit den 1950er-Jahren wurden amerikanische Musicals in Westdeutschland gespielt, das blieb theaterinteressierten DDR-Bürgern, die bis zum Mauerbau 1961 die Westberliner Theater besuchen konnten, natürlich nicht verborgen. Masanetz, der seine Stücke immer „Operetten“ nennt, nimmt nicht nur zur Charakterisierung der Gangster Einflüsse aus der amerikanischen Unterhaltungsmusik auf, vor allem Tänze wie Charleston und auch lateinamerikanische Rhythmen. Roland Dippel charakterisiert das Stück treffend als „Noch-Operette und Fast-Musical“.
Eine erste Fassung von «Frisco» kam 1956 unter dem Titel „Wer braucht Geld?“ am Metropoltheater heraus. Otto Schneidereit, Chefdramaturg des Hauses und dank zahlloser Publikationen der Operetten-„Papst“ der DDR, hatte das Buch geschrieben. In Übereinstimmung mit der Kulturpolitik der Regierung vertrat er die Ansicht, „dass wir auch in der Operette das Leben unserer Menschen von heute widerzuspiegeln haben“. Das große Thema sei der „Klassenkampf“, der in der DDR mit dem Sieg des Proletariats beendet schien, deshalb verlegt er die Handlung in die USA. 1962 wurde die endgültige Fassung, mit einem zugkräftigeren Titel und dem von Maurycy Janowski überarbeiteten Buch, wieder im Metropol uraufgeführt.
Die Bösewichtin ist die geldgierige, skrupellose Xonga Miller; ihr gehört fast die ganze Stadt, und sie macht dort den Regen und das schöne Wetter. Treffpunkt für ihre politischen Gegner (bei denen die Tänzerin Chica eine führende Rolle spielt) ist das Hotel Nevada. Nach dem Tod des Besitzers sieht Xonga die Chance, das Hotel zu übernehmen, denn der Besitzer schuldet ihr 10.000 Dollar, und der Erbe, der Barkassenführer Anatol Brown, hat kein Geld. Mit Unterstützung der Seeleute (die Solidarität der arbeitenden Klasse ist ein großes Thema!) gelingt es Brown aber, die Schuld zu begleichen, er behält das Hotel und kann daraus ein Heim für alte Seeleute machen. – Bei einem so optimistischen Stück wäre es ketzerisch zu fragen, wer die Kosten für den laufenden Betrieb decken soll.
Auf engstem Raum wird gewirbelt, getanzt, sogar gesteppt (Choreographie: Martina Borroni, Stepptanz: Marie-Christin Zeisset) und hervorragend gesungen. Unter dem Dirigenten Kai Tietje dreht das Orchester richtig auf; manchmal ist es vielleicht lauter als nötig, aber – es fetzt, und das Publikum ist begeistert.
Xonga ist Christoph Marti, der in der KO auf Travestie-Rollen abonniert ist (er hat hier u.a. schon die Titelrolle in Nico Dostals Operette «Clivia» gesungen; allerdings gingen die Meinungen darüber, ob „gesungen“ der richtige Ausdruck ist, auseinander…). Ein Kritiker schrieb über «Frisco»: „Wo der Junge in einen Fummel springt, lebt der Glamour“, ein anderer charakterisierte ihn sehr glücklich als „eine in Formaldehyd eingelegte Marlene Dietrich“ (Tschuldigung, Marlene!). Alexander von Hugo ist ein jungenhaft-sympathischer und steppender (seine Spezialität!) Anatole Brown. Die Damen Sophia Euskirchen (Virginia West, die Kellnerin) und Alma Sadé (Chica) überzeugen wie alle anderen darstellerisch und gesanglich und sind obendrein eine Augenweide. Hans Gröning spielt anrührend den alten Seemann Jonas, der keinen Job und kein Heim mehr hat und dem Browns Seemannsheim wieder eine Perspektive eröffnet.
Martin G. Berger führt laut dem Besetzungszettel nicht Regie, sondern ist verantwortlich für das „szenische Arrangement“ – was vielleicht zu viel der Bescheidenheit ist: Natürlich könnte man auf der großen Bühne mehr „machen“, aber so, wie es ist, läuft es glänzend.
Die Spieldauer für «Frisco» wird mit zweieinhalb Stunden angegeben, die Komische Oper kommt mit knapp anderthalb Stunden aus. Den einen oder anderen der Songs, die gestrichen sind, hätte man vielleicht noch gern gehört – aber der Abend ist jedenfalls eine runde Sache. Der Jubel des Publikums war einhellig.
«In Frisco ist der Teufel los» – Guido Masanetz
Komische Oper Berlin ∙ Schillertheater / Großer Saal
Kritik der Premiere am 21. Dezember
Termin: 30. Dezember