Hermine Kreuzer

Das Lehár-Schlössl war ihre Berufung

Im September verstarb die Hausherrin des Wiener Lehár-Schlössls. Sie hatte es gemeinsam mit ihrem Mann von Franz Lehárs Bruder geerbt und 60 Jahre lang als Privatmuseum weitergeführt

27. Oktober 2022

Hermine Kreuzer empfing Gäste manchmal auch dann, wenn sie keinen Termin hatten, wie 2019 die Theatermacherin Katharina Bigus © Simon Bigus

Am 14. September ist Hermine Kreuzer im Alter von 98 Jahren gestorben. Sie war die Hausherrin des Lehár-Schlössls in Nussdorf im Wiener Gemeindebezirk Döbling. Das pittoreske Haus am Fuße des Nussbergs hatte bereits Emanuel Schikaneder gehört, später machte es Franz Lehár zu seiner Residenz. Nach dem Tod des legendären Operettenkomponisten pflegte dessen Bruder, Anton Freiherr von Lehár, das Anwesen, bis die Hausangestellten Hedwig und Erich Kreuzer im Jahr 1962 überraschend die neuen Eigentümer wurden. 

Die folgenden Erinnerungen von Hermine Kreuzer wurden im Jahr 2019 von Heide Stockinger aufgezeichnet. Die Autorin widmete der Geschichte des Lehár-Schlössls ein ganzes Kapitel in dem Buch „‚Dein ist mein ganzes Herz‘. Ein Franz Lehár-Lesebuch“ (2020), das die Autorin gemeinsam mit Kai-Uwe Garrels im Böhlau Verlag herausgegeben hat.
 


Jenes Kapitel, dem Kreuzers spannende Lebensgeschichte entnommen wurde, ist zur Gänze und kostenlos in der OPE[R]NTHEK verfügbar – wofür sich OPERN∙NEWS bei Heide Stockinger und Kai-Uwe Garrels sowie beim Böhlau Verlag bedankt.



Erinnerungen von Hermine Kreuzer, aufgezeichnet von Heide Stockinger (2019)

Wir sind aus dem Waldviertel nach Wien gezogen. Einfach so „ins Blaue“, 1949. Erich hat eine Stelle gefunden, am Salzgrieß, da war er im Textilgeschäft. Gewohnt haben wir bei der Schwiegermutter, in einem kleinen Kabinettl. Ich bin einmal von der Kirche nach Haus und in die Trafik rein und hab [die Zeitung] „Neues Österreich“ geholt und gesucht und gesucht … Ich hab ein ganz kleines Inserat gefunden: „Anton Freiherr von Lehár sucht jemand, ein Ehepaar mit Führerschein“. Zum Erich hab ich gesagt, „da schreib ich jetzt hin“. „Ja, ich hab einen Führerschein, aber ich steh im Beruf.“ „Vielleicht brauchen sie dich nicht jeden Tag.“ Ich hab hingeschrieben und gleich eine Karte bekommen von Anton Lehár. Keine Ahnung, wer das ist, und dass das Schlössl mit einem Musiker zu tun hat! Wir haben uns dann vorgestellt.

Das Lehár-Schlössl in Nussdorf in Wien © Bwag/Commons

Später haben wir erfahren, dass der Baron 150 Bewerbungsschreiben – wir haben immer „Baron“ zu General Anton Lehár gesagt – auf seine Annonce hin erhalten hat. Im Hof ist uns der Baron auf zwei Stöcken entgegengekommen. Beim Gespräch hat er mich gefragt, ob ich täglich seine offene Wunde verbinden würde. Ich hab „ja“ gesagt. „In zwei Wochen könnt ihr anfangen“ hat es nach unserem Vorstellungsgespräch geheißen. Eine Wohnung haben wir nicht auflassen müssen, wir haben keine besessen, bei der Schwiegermutter waren wir in Untermiete. Ich hab die sehr kranke Schwiegermutter gepflegt…

Die offene Wunde des Barons von seiner schweren Kriegsverletzung im Ersten Weltkrieg konnte ich versorgen, weil ich nach der Vertreibung aus Südmähren 1945 einige Jahre eine Stellung bei einem Arzt gehabt hab, in Dobersberg nahe Waidhofen an der Thaya. Haushalt und so, saubermachen, auf die vier Kinder aufpassen war meine Aufgabe. Aber ich hab doch auch gesehen, was ein Arzt macht. Die Wunde vom Baron hab ich täglich verbunden. Das muss man sich einmal vorstellen: viermal operiert worden, Schenkelkopf herausgenommen – damals hat es noch keine künstlichen Gelenke gegeben. Dum-dum-Geschoße sind im Fuß explodiert, hundert Splitter! Noch im Jahr 62 ist ein Splitter aus der Wunde herausgekommen, kurz vor seinem Tod.

Wir haben gar nix gehabt! Einen Karton. Am Naschmarkt hab ich Paprika gekauft und Gewürze und ein paar Erdäpfel, für ein Erdäpfelgulasch. Und so sind wir ins Lehár-Schlössl hingezogen. Im Jahr 1949? Nein, im Jahr 1951. Es war klar, dass wir in diesem Anbau wohnen. Die Wohnung war sehr klein, später ist sie a bisserl umgebaut worden, neue Fenster und so weiter. Der Baron hat gesagt, die Wohnung könnt ihr haben, wir haben dafür nix zu bezahlen, aber die Arbeit haben wir zu machen. Gekocht hab ich selber. Auf einem Gasofen. Da hat der Baron einmal zu mir gesagt: „Ich hab einen Wunsch.“ Ich darauf: „Sie wissen ja, jeden Wunsch erfüll’ ich Ihnen.“ „Gehen Sie, kaufen Sie einen Elektroherd. Kinderl, wenn Gas ausströmt, können Sie die Wohnung nicht verlassen, das kleine Fenster ist vergittert!“

Franz Lehár hat einmal bei offenem Fenster eine Kinderstimme gehört. Er hat hinausgeschaut und gesehen, wie ein kleines Mädchen vom Nebenhaus auf das Dach der kleinen Waschküche geklettert ist. Das fünf Jahre alte Mäderl kraxelt auf das Dacherl und hat in den Schloss-Garten geschaut! Franz Lehár hat gerufen: „Was suchst du denn da?“ „Ich will auch einen schönen Garten sehen!“ Da hat Franz Lehár gesagt: „Geh schön langsam zurück vom Dach, komm in der Hackhofergasse zu unserer Tür, klingle an, dann kannst du hereinkommen.“ Das Mäderl hat hereinkommen und unterm Klavier sitzen dürfen. Einmal klingelt es bei mir, Jahre später! Eine Dame im Rollstuhl und ein Herr stehen vor der Tür. Sie hat gesagt, sie kann nicht ins Museum kommen, aber dem Mann kann man das Museum zeigen. Die Dame war das Mäderl von damals mit fünf Jahren. Sie war 85 und wollte das Haus nochmals sehen!

Für 10 Uhr war die Testamentseröffnung festgelegt. Der Erich schaut auf die Uhr und sagt: „Fünf Minuten vor 10! Unverschämt, diese Erben, die kommen zu spät zur Testamentseröffnung!“ Und derweil kommt der Notar herein mit seiner Sekretärin und liest vor: „Die Hälfte bekommt der Erich, die Hälfte ich.“ Ich hab gesagt: „Nein, um Gottes willen, der Besitz kostet so viel Geld, wie sollen wir alles erhalten.“ Und der Erich hat gesagt: „Wir bleiben in der ganz kleinen Wohnung, wir versuchen, für die anderen Wohnungen gute Mieter zu finden, um mit der Miete die Abgaben und Steuern zu bezahlen. Und die Arbeit, da machen wir alles selber.“ Und so haben wir begonnen.

Gästebucheintrag des Tenors Richard Tauber (1924), einem häufigen Gast im Lehár-Schlössl © Hilde Stockinger

Wir haben nach dem Tod vom Baron keine Ahnung gehabt! Wir wussten, er hat keine Erben. Die Schwester von den Brüdern Lehár ist leer ausgegangen, das wollte der Baron so. Die Schwester hat nach dem Tod von Franz Lehár eh alles bekommen! Sie hat ja das ganze Haus ausgeräumt! Und das Inventar verkauft. Die Schwester hat sich auf zwei im Testament fehlende Wörter gestützt, auf „samt Inventar“. Sie hat das ausgenützt, hat alles ins Dorotheum gebracht und sonst wohin. Nach dem Tod von der Schwester Emmy hat ihr Sohn, der Neffe, wohnhaft in Amerika, die Tantiemen bekommen und hat 70 Jahre lang seine 17 Kinder davon ernährt. Erst jetzt, 70 Jahre nach Franz Lehárs Tod, bekommen sie kein Geld mehr … Der Bruder Anton hat einige Sachen zurückgekauft. Auch die Sänfte vom Schikaneder, damit sich ein Stück von Schikaneder im Haus befindet, und die beiden Stühle, die oben stehen. Er hat aber die Mittel nicht gehabt, um alles zurückzukaufen.

Nach der Testamentseröffnung ist der Stadtrat X [der Name ist Hermine Kreuzer erinnerlich] gekommen, ins Haus, und hat sich umgeschaut, auch oben, wo die Sänfte vom Schikaneder steht. Vorn in der Ecke ist er gestanden und hat gesagt: „Was wollen Sie? Ein Museum? Wir haben so viele, alles weggeben, eine Büste muss her“, war seine Antwort. Wir haben gekämpft drum, dass alles erhalten bleibt, so, wie es der Bruder gemacht hat. Den Saal hat ja der Bruder schon eingerichtet zur Erinnerung an Franz Lehár: der Erich hat mitgeholfen, die Bilder aufgenagelt …

Wir haben restauriert und renoviert. Die Fassaden im Hof haben wir herrichten lassen, da haben wir damals einen Teil der Kosten vom Bund, dem Denkmalamt bekommen. Im Jahr 1972 haben wir die Gartenfassade restaurieren lassen. Man hat festgestellt, dass die vierte Schicht unter dem Putz die Farben „rosa“ und „gelb“ gehabt hat. So wie es heute wieder ist! Lange Zeit war die Fassade nur „gelb“. Gelb und rosa, ich bin’s nun so gewohnt, ich will’s gar nicht anders haben! Für die Restaurierung haben wir vom Bund, Denkmalamt, auch einen Zuschuss bekommen. Auch die Stadt Wien hat dazu bezahlt. Aber sonst kriegen wir nix von der Stadt Wien, müssen alles selbst erhalten.

Wir haben auch eine Quelle im Garten. Die eigene Quelle hat im alten Brunnen den Springbrunnen betrieben. Wenn man 50 Meter vorgeht, am Weg, da hat die Gemeinde Wien den Bach ausgemauert und die Rohre rausgerissen. Seither ist eine Pumpe für den Springbrunnen in Betrieb. Früher ist im Winter auch der Springbrunnen gegangen. Da hat sich ein Eisberg gebildet. Der Erich ist mit der Leiter auf den Eisberg gekraxelt, bis ganz oben zur Spitze, wo noch Wasser aus dem Springbrunnen gekommen ist. Es gibt Fotos davon. Es ist auch im Winter in den Zeitungen gestanden: Im Garten des Lehár-Schlössls geht der Springbrunnen noch!

Das muss ich noch erzählen! Im Jahr ’14, 2014, ist ein Packerl gekommen, genau an die Adresse Hackhofergasse 18, 1190 Wien. Aber der Absender hat gefehlt. Mein Mieter Thomas hat gesagt: „Mach es auf!“ Kommt ein Bild heraus, der Franz Lehár, und ein Brief. Die Dame schreibt: „Ich bin 95 Jahre alt. Ich habe das Bild so behütet und ich möchte nicht, dass es in schlechte Hände kommt.“ Übers Konsulat hat sie erfahren, dass es in Wien ein Lehár-Haus gibt. Deswegen hat sie das Bild hierher geschickt, weil, wie sie 20 Jahre alt war, hat sie beim Schulabschluss in der Schweiz den „Gold und Silber“-Walzer getanzt und hat erfahren, dass Franz Lehár schwer krank im Krankenhaus liegt [in der Schweiz]. Da hat sie sich gedacht, sie schreibt ihm das, vielleicht hat er eine Freude. Das war auch so, als Antwort auf den Brief hat er das Bild geschickt und darunter Noten vom „Gold und Silber“-Walzer [komponiert 1902 für eine Faschingsredoute in Wien]. Ich bin noch in Kontakt mit ihr. Wir schreiben uns. Sie ist jetzt 100 Jahre alt und sitzt im Lehnstuhl und freut sich über Briefe von mir und schreibt auch zurück.

Alles mit dem eigenen Geld finanziert, durch die Einkünfte aus Mieten. Bei den Veranstaltungen nehmen wir keine Eintrittsgelder. Freiwillige Spenden! Bei Eintrittsgeldern müssten wir ja Steuern bezahlen! – Vierzig Personen haben im Museum, das auch als Konzertsaal dient, Platz. – Vor den Konzerten räume ich die Vitrinen weg [die Vitrinen laufen auf Rollen, montiert von Ehemann Erich], verrücke das Klavier [auch Klavierbeine „rollen“] und stelle die Sessel auf. Fünf bis sechs Konzerte sind es im Jahr. Ich mache alles selber, das Wegräumen, Aufstellen der Sessel und nachher wieder Herräumen der Vitrinen. Viele Konzerte gab es bisher von der Franz Lehár-Gesellschaft! Wann die Lehár-Gesellschaft „eingestiegen“ ist? Wann ist das gewesen? Ich glaube, schon in den 70ern … Zur kalten Jahreszeit haben wir keine Konzerte. Man kann das Museum schon beheizen, mit Holz. Warum wir dann im Winter keine Konzerte machen? Weil die Gehsteige mit Split bestreut sind; im Profil der Sohlen der Schuhe bleibt der Split und macht Löcher in den Sternparkett des Museums.
 

Das Gespräch mit Hermine Kreuzer führte Michael Lakner. Mit Frau Hermine Kreuzers Einverständnis konnte ein Audio-Mitschnitt des Gesprächs aufgenommen werden.

 

Zum Thema

. Das Wiener Lehár-Schlössl. Ein Potpourri, von: Heide Stockinger - in: „Dein ist mein ganzes Herz“. Ein Franz Lehár-Lesebuch (Auszug) - OPE[R]NTHEK