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Weltbekannt in Polen

Es ist Zeit für eine internationale Entdeckung des Œuvres von Stanisław Moniuszko – erstklassige Aufnahmen helfen dabei

Stephan Burianek • 24. März 2021

Moniuszko im mittleren Alter, Portrait im Archiv der Warschauer Gesellschaft für Musik © Stephan Burianek

Stanislaw wer? Selbst als gut informierter Opernfreund ist es keine Schande, kaum noch von Stanisław Moniuszko (1819-1872) gehört oder gelesen zu haben. Wer allerdings schon einmal in Polen war, der ist zweifellos bereits über seinen Namen gestolpert. In fast jeder Stadt ist eine Straße oder ein Platz nach ihm benannt, überlebensgroß steht er vor dem Teatr Wielki in Warschau, und ebendort wurde vor zwei Jahren der Hauptbahnhof nach ihm benannt. International ist sein Bekanntheitsgrad ein wenig gestiegen, seit der Ausnahmetenor Piotr Beczała regelmäßig Lanzen für seinen Landsmann bricht und beispielsweise das Theater an der Wien motivierte, im Rahmen von Moniuszkos 200. Geburtstag im Jahr 2019 dessen bekannteste Oper «Halka» aufzuführen (Beczała sang damals den Jontek).

Gekennzeichnet ist Moniuszkos Werk von einem unbändigen Sinn für Melodien – er schrieb u.a. mehr als dreihundert Lieder , die er in seinen Opern und Kantaten meisterhaft zu orchestrieren verstand. Außerdem war Moniuszko ein überaus moderner Komponist: Seine «Halka» – die thematisch starke Ähnlichkeiten mit Janáčeks viel späterer «Jenufa» aufweist – war vermutlich die erste Oper, die lange vor Richard Wagner bereits rezitationslos durchkomponiert und leitmotivisch gearbeitet war.

Dass wir Moniuszko heute kaum kennen, hat wohl in erster Linie mit Pech zu tun. In wohlhabenden Verhältnissen auf einem elterlichen Herrenhaus im heutigen Weißrussland geboren, lebte der vielfache Familienvater zunächst lange in Vilnius bevor sich mit der «Halka» spät aber doch sein Erfolg in Warschau einstellte, wo er in Folge musikalischer Leiter des Opernhauses wurde. Kongresspolen befand sich damals in der Hand des russischen Zarenreichs, aber in St. Petersburg interessierte man sich nur mäßig für den bescheidenen Provinzler. Frühere Versuche, in den Pariser Salons auf sich aufmerksam zu machen oder über Gioachino Rossini einen Weg nach Italien zu finden, waren kläglich gescheitert. Hinzu kommt, dass Moniuszko in seinen ruhmvollen letzten Jahren, in denen er endlich eine Oper nach der anderen schreiben konnte, nur wenig Interesse zeigte, seine Expertise einer jüngeren Generation weiterzugeben. Nach seinem plötzlichen Tod mit nur 53 Jahren fehlte es an Epigonen, die sein Erbe posthum in die Welt hinaus hätten tragen können.

Moniuszko als "Dandy", gezeichnet von seinem Vater Czesław © Stephan Burianek

Langsam aber stetig scheint das Interesse an diesem polnischen Nationalheiligtum indes auch international zu erwachen. Nicht nur Beczała, auch nicht-polnische Künstler von Weltrang beschäftigen sich zunehmend mit Moniuszkos Gesamtwerk. Maßgeblich daran beteiligt ist Stanisław Leszczyński, der Vizedirektor des Staatlichen Frédéric-Chopin-Instituts in Warschau. Unter seiner Ägide hat die finanziell gut dotierte Forschungseinrichtung, die u.a. für das alljährliche „Chopin in Europa“-Festival und den alle fünf Jahre stattfindenden Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb verantwortlich zeichnet, eine beachtliche Menge an hochwertigen Musikalben produziert, die neben Chopin auch dessen polnische Berufskollegen beleuchten, wie eben auch Monisuzko: Der französische Pianist Cyprien Katsaris spielte Moniuszkos Klavierwerke ein und Christoph Prégardien sang ins Französische übertragene Moniuszko-Lieder.

Ein bekennender Moniuszko-Fan ist auch Fabio Biondi: Im August 2018 erarbeitete er mit dem von ihm gegründeten Ensemble Europea Galante und mit erstklassigen Solist*innen die «Halka» in jener italienischen Übersetzung, mit der sich Moniuszko seinerzeit große Hoffnungen auf die Aufnahme seiner Oper an italienischen Opernhäusern gemacht hatte. Mit puristischem Klang und trotz der slawischen Tänze legt die als CD-Buch erschienene Einspielung eine verblüffende Nähe der «Halka» zu zeitgenössischen italienischen Opernwerken frei. Biondi war nach dieser Erfahrung derart begeistert, dass er sich nach eigener Aussage nun alle Moniuszko-Opern erarbeiten möchte. Mit dem Einakter «Flis» («Der Flößer») – dessen mitreißende Ouvertüre sich als populäres Konzertstück eignen würde – liegt bereits eine weitere Einspielung vor, und die im vergangenen August beim Chopin-Festival aufgezeichnete «Hrabina» («Die Gräfin») sollte demnächst erscheinen.

Der Pianist Stanisław Leszczyński kümmert sich um die Verbreitung des polnischen Musikerbes © Stephan Burianek

Für das neueste Moniuszko-Opernalbum des Chopin-Instituts hielt hingegen ein Pole den Taktstock in der Hand: Grzegorz Nowak, derzeit Erster Gastdirigent beim Royal Philharmonic Orchestra, dirigierte das niederländische, auf historische Aufführungspraxis spezialisierte Orchester des 18. Jahrhunderts. Das Ergebnis war die erste Einspielung von «Straszny dwór» («Das Gespensterschloss») auf historischen Instrumenten – und man möchte diese Oper gar nicht mehr anders hören, so wunderbar ist diese Aufnahme. In der Musikwissenschaft gilt das «Gespensterschloss» als der Höhepunkt in Moniuszkos Schaffen, und in Polen kennt dieses Werk quasi jedes Kind. Wie bei Wagners «Meistersingern» oder wie bei Verdis «Falstaff» handelt es sich dabei um eine Komödie mit einer vielschichtigen, nicht vordergründig-schenkelklopferischen Musik. Die bekannteste Stelle ist das Glockenspiel im dritten Akt, das die Polen seinerzeit an bessere (von den Russen noch nicht beherrschte) Zeiten denken ließ.

Wie bei den meisten Komödien ist die Handlung freilich simpel: Zwei Brüder beschließen nach einem erfolgreichen Armeeeinsatz, sich nie zu verheiraten und sich als patriotische Junggesellen ohne Ablenkungen um ihre Heimat und das väterliche Landgut kümmern zu können. Natürlich verlieben sie sich bei der erstbesten Party in die Töchter des Gastgebers, und natürlich gibt es Rivalen, die etwas dagegen haben – was zu mancher komischen Situation führt, zumal ein Fluch auf dem Haus des Gastgebers liegen soll.

Unter den Interpreten der genannten Aufnahme ist Opernkenner*innen im deutschen Sprachraum außer Tomasz Konieczny, der den königlichen Beschließer (Miecznik) singt, kaum jemand ein Begriff. Umso beeindruckender ist beim Genuss der Aufnahme die Erkenntnis, über welch hervorragende Stimmen die Ensembles der polnischen Opernhäuser zu verfügen scheinen. Das CD-Buch enthält, wichtig bei wenig bekannten Werken, neben Einführungstexten das Libretto in Polnisch und Englisch.

Der Reigen ist freilich noch nicht zu Ende getanzt: Wenn es die Pandemie erlaubt, dann wird Fabio Biondi beim diesjährigen Chopin-Festival im Sommer mit «Verbum nobile» einen weiteren Moniuszko-Einakter aufführen und einspielen. Unabhängig davon sind die Chancen einer internationalen Wertschätzung Moniuszkos durch die Bemühungen von Piotr Beczała und dem Chopin-Institut gestiegen. Auch OPERN∙NEWS wird den seinerzeit so innovativen Stanisław Moniuszko auch künftig in sein Schweinwerferlicht zu rücken – er hat sich zweifellos einen prominenten Platz in der Operngeschichte verdient.

 

Texte über Moniuszko in der OPE[R]NTHEK

Wer war Stanisłav Moniuszko? - Von: Christoph Wellner, in: Magazin Klassik [Radio Klassik Stephansdom], Ausgabe # 12 | Frühling 2019 

Im Knotenpunkt polnischer Musikkultur. Mit «Halka» schuf Stanisław Moniuszko die berühmteste polnische Oper, zu deren szenischer Uraufführung es beinahe niemals gekommen wäre. - Von: Johannes Penninger, in: Stagione [Theater an der Wien], Ausgabe #2 - 19/20 | November/Dezember 2019

 

Literatur

Rüdiger Ritter: „Der Tröster der Nation. Stanisław Moniuszko und seine Musik“, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden, 2019 – Band 6 aus der Reihe: „Polnische Profile“ (Deutsches Poleninstitut), herausgegeben von Dieter Bingen und Peter O. Loew

 

Piotr Beczała singt Moniuszko

Audio-Stream auf der Homepage des Fryderyk-Chopin-Instituts (nach ganz unten scrollen!)


Eine polnische Übersetzung dieses Artikels ist auf der Homepage des Warschauer Chopin-Instituts zu finden: muzyka.nifc.pl/pl/muzyka/aktualnosci/65