Deutsche Oper Berlin

Karge Leidenschaft

In Thalheimers Visualisierung von Wagners «Tristan und Isolde» werden Runnicles und das Orchester zu den eigentlichen Helden in einem asketischen Gedanken-Drama

Zenaida des Aubris • 04. November 2025

Isolde, verschleiert, mit Seil © Bernd Uhlig

Eine neue Produktion von «Tristan und Isolde», jenem „Urmythos“ der Wagner’schen Liebestragödie, ist immer ein Ereignis. So auch an der Deutschen Oper Berlin, wo Michael Thalheimers Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève Premiere hatte (die Genfer Rezension aus dem vergangenen Jahr finden Sie hier). Gleich zu Beginn, als die ersten Töne aus dem Nichts auftauchen, spiegelt sich dieses Nichts auch auf der Bühne: Aus völliger Dunkelheit beginnen kreisförmige Lampen zu flimmern und Isoldes Weg zu erhellen. Sie zieht an einem langen Seil – vielleicht dem Seil ihrer Vergangenheit, von der sie kurz darauf im Monolog singt – und sinkt schließlich erschöpft in der Bühnenmitte zusammen. Dieses Bild kehrt im dritten Akt wieder, wenn Tristan ein ähnliches Seil hinter sich herzieht – auf dem Weg von dieser Welt in die nächste.

Thalheimer verwandelt die Liebesekstase der Titelhelden in eine gedankliche, fast metaphysische Sphäre. Die beiden berühren sich kaum, ihre Leidenschaft bleibt eine des Geistes. „Das Publikum bekommt nicht alles fertig serviert“, so der Regisseur, „und hat dadurch die Chance, seine eigene Geschichte mit der eigenen Fantasie zu entdecken.“ Gemeinsam mit Bühnenbildner Henrik Ahr entwirft er eine Ästhetik der asketischen Reduktion: Eine Installation aus 260 Scheinwerfern, symmetrisch angeordnet und präzise auf die Aktionen abgestimmt, dominiert die sonst leere, schwarze Bühne. Wenn während der ersehnten Liebesnacht völlige Dunkelheit eintritt, oder wenn alle Strahler plötzlich grell wie „der öde Tag“ aufflammen, sobald König Marke die Liebenden überrascht, entstehen durchaus starke Bilder. Doch hinter der visuellen Strenge bleibt die emotionale Spannung auf der Strecke. Man könnte fast meinen, ein konzertanter «Tristan» wäre in seiner Konsequenz ehrlicher gewesen als diese statische Inszenierung.

Musikalisch dagegen entfaltete der Abend weitaus größere Kraft. Die Sopranistin Elisabeth Teige gab ihr Rollendebüt als Isolde – und war allein schon optisch die Idealbesetzung. Ihr jugendlich-dramatischer Sopran gewann im Verlauf des Abends an Wärme und Geschmeidigkeit, auch wenn sie im „Liebestod“ mitunter vom Orchester übertönt wurde. Dass sie dabei gemäß Regieanweisung mit aufgeschlitzter Kehle singen musste, machte die Sache nicht leichter. Ihre Sehnsucht nach Tristan blieb letztlich mehr Behauptung als erlebte Emotion, was eher der Regie als der Sängerin anzulasten war.

Georg Zeppenfeld (links) ist derzeit wohl der beste König Marke, im Bild mit dem wankenden Melot von Dean Murphy, am Boden Thomas Lehman als Kurwenal © Bernd Uhlig

Clay Hilley bewährte sich zunehmend als Tristan, auch wenn sein Timbre nicht immer zu den schönsten zählt. Er besitzt aber Charisma und die nötige vokale Beweglichkeit eines echten Heldentenors. Doch auch ihn lähmte die inszenatorische Kühle: Als er und Isolde sich im Liebesduett plötzlich die Pulsadern aufschneiden und Kunstblut über ihre Arme rinnt, wirkt dies schockierend, aber unmotiviert – und lenkt die Aufmerksamkeit von der so emotional starken Musik ab.

In den Nebenpartien überzeugten vor allem Georg Zeppenfeld als wohl derzeit bester König Marke mit edler Würde und makelloser Diktion, sowie Thomas Lehman mit einem melodisch leuchtenden Kurwenal, dessen klangvoller Bariton vom ersten Moment an fesselte. Irene Roberts gestaltete eine einfühlsame, warm timbrierte Brangäne, während Dean Murphy als misstrauischer Melot im gelben Anzug sowohl stimmlich als auch körperlich Präsenz zeigte.

Im Zentrum aber stand Sir Donald Runnicles, der mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin eine ungemein geschlossene, atmende Interpretation formte. Schon im Vorspiel entfaltete sich eine geheimnisvolle Spannung, die Holzbläser zeichneten zarte, berührende Linien, denen Runnicles Raum und Zeit ließ – etwa der Bassklarinette im Zwiegespräch mit Zeppenfelds Marke. Die Koordination zwischen Bühne und Graben war makellos, selbst mit dem hinter der Bühne platzierten Chor (Einstudierung: Jeremy Bines). Die Hörner des zweiten Aktes erklangen erstaunlich präzise, und die Soli von Chloé Payot (Englischhorn, von melancholischer Innigkeit) und Martin Wagemann (Holztrompete im dritten Akt, von heller Zuversicht) wurden zu Recht mit Sonderapplaus bedacht.
Mit diesem «Tristan» läutet Runnicles seinen Abschied als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin ein. 2011 hatte er an gleicher Stelle mit Graham Vicks düsterer Inszenierung von «Tristan» seine erste Wagner-Premiere dort gefeiert. Was er seither in Berlin aufgebaut hat, zeigte sich in einem orchestralen Gesamtklang von außergewöhnlicher Geschlossenheit. Stimmige Tempi, große Spannungsbögen, immer gute Verbindung zwischen Bühne und Graben – Runnicles hat die Basis geschaffen, auf der die Musiker zu den eigentlichen Siegern des Abends wurden.


«Tristan und Isolde» – Richard Wagner
Deutsche Oper Berlin

Kritik der Premiere am 1. November
Termine: 9./16./23. November