Ildar Abdrazakov
Nun auch in München in der Kritik
Langsam nimmt in Europa die Diskussion um den russischen Bass mit den guten Kreml-Beziehungen Fahrt auf
Stephan Burianek • 21. Juni 2023
Erstmals hat ein großes deutsches Medium auf unseren Abdrazakov-Artikel verwiesen, der im Februar dieses Jahres in den USA auf breiter Ebene für Aufsehen gesorgt hat: Für BR-Klassik ging Peter Jungblut der Frage nach, warum Ildar Abdrazakov trotz seiner bekannten Nähe zur Putin-Partei „Einiges Russland“ demnächst in München – immerhin auf Kosten des Steuerzahlers – singen wird dürfen. 1
Der russische Bass, für den es in den USA derzeit keine Auftrittsmöglichkeiten gibt, singt ungeachtet der Kritik an seiner Person weiterhin auf russischen Propaganda-Veranstaltungen: Ebenso wie Denis Matsuev, Hibla Gerzmava und der kriegstreiberische Patriarch Kyrill trat Abdrazakov am 24. Mai anlässlich des „Tages der slawischen Literatur und Kultur“ einmal mehr auf einem Open-Air-Konzert auf dem Roten Platz in Moskau auf und erhielt für seinen 15-minütigen Auftritt gemäß des OPERN∙NEWS vorliegenden Arbeitsvertrags drei Millionen Rubel (derzeit etwa € 32.000,-).2 Am Tag des Erscheinens dieses Artikels soll er gemäß BR-Klassik-Informationen in Taschkent, Usbekistan, bei einem vom russischen Kulturministerium mitfinanzierten Festival mit dem Titel „Russische Jahreszeiten“ auftreten. In den sozialen Medien machen auch immer wieder Fotos die Runde, die ihn bei ausgelassenen russischen Partys zeigen, so etwa kürzlich beim Anschneiden der Torte zu Valery Gergievs 70. Geburtstag.
Es sei „in die Waagschale zu werfen, dass er Familie und Kinder in Russland hat“, sagte ein Sprecher der Bayerischen Staatsoper laut der BR-Klassik-Reportage. Inwieweit das stimmt, darf hinterfragt werden: Vor fünf Jahren berichtete die russische Internetseite Tatler.ru, dass Abdrazakov seinen Wohnsitz im niederösterreichischen Oberwaltersdorf habe, wo er mit seiner Familie in einer bewachten Wohnanlage mit eigenem Golfplatz wohnen soll. 3 Oberwaltersdorf liegt unmittelbar neben Baden bei Wien. Diese Gegend südlich der österreichischen Bundeshauptstadt weist bei Russen eine gewisse Tradition auf, immerhin stand in Baden bei Wien bis 1955 die Kommandozentrale der sowjetischen Besatzer 4, und bis heute hat sich dort eine verschwiegene russische Gemeinschaft erhalten. -- Update vom 26.06.2023: Einer vertraulichen Quelle zufolge soll Abdrazakov sein Haus in Oberwaltersdorf vor drei Jahren verkauft haben und nun in Moskau wohnen sowie regelmäßig in der russischen Stadt Ufa zu tun haben, wo sein Bruder Askar Abdrazakov der Künstlerische Leiter des Opernhauses ist.
Ein wahrscheinlicherer Grund für ein Festhalten an dem Münchener Engagement ist profaner und naheliegender: Es wäre für die Bayerische Staatsoper vermutlich schwierig, ohne zusätzliche Kosten aus dem Vertrag auszusteigen. Als Abschreckung kann der Fall Netrebko an der Met gelten: Dort hatte der Intendant Peter Gelb das Engagement der russischen Diva kurzerhand wegen ihrer offensichtlichen Nähe zu Putin aufgelöst. Später entschied ein Gericht, dass ihr wegen dieses Vertragsbuchs eine Entschädigung von 200.000 US-Dollar zustünde. Vor diesem Hintergrund erscheint das Festhalten in München an Abdrazakov verständlich. Der von BR-Klassik zitierte Sprecher der Bayerischen Staatsoper wies außerdem darauf hin, dass künftig kein weiteres Engagement des russischen Sängers angedacht sei.
Allerdings, so der besagte Sprecher weiter, stehe Abdrazakov künftig auch in Wien, Paris, Rom, Zürich und Monte Carlo auf den Besetzungslisten. Die Ignoranz von Opernhäusern in anderen Städten ins Treffen zu führen, ergibt freilich ein schwaches Argument, macht aber immerhin auf eine Problematik aufmerksam, der wir bereits vor Monaten gerne auf den Grund gegangen wären: Die Interview-Anfrage von OPERN∙NEWS zum Thema „Ethik in der Kultur“ an Bogdan Roščić, den Direktor der Wiener Staatsoper, hält man dort seit Februar freundlicherweise „in Evidenz“, wie eine Sprecherin seinerzeit auf Nachfrage mitteilte. Als indirekte Antwort konnte man Roščićs Editorial im aktuellen Spielzeit-Heft interpretieren: Man höre neuerdings die Forderung, „Kunst solle [...] moralisch einwandfreie Positionen zu den Themen des Tages einnehmen“, schreibt Roščić, um nach zwei pseudointellektuellen Zitaten zu folgern: „Haltung ist keine ästhetisch relevante Kategorie und der moralisierende Künstler eine zwiespältige Figur.“ – Wer sich also gegen das Russland von Heute ausspricht und womöglich auch den Angriffskrieg verurteilt, der ist moralisierend? Vielleicht können wir diese Frage ja doch noch in einem persönlichen Gespräch klären.
Unabhängig davon wäre es vielleicht lohnend, sich Ildar Abdrazakov und seine internationalen Beziehungen näher anzusehen. Im Jahr 2015 beispielsweise, also im Jahr nach Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine und zugleich im Jahr vor der folgenschweren US-Präsidentenwahl, traf der Sänger Donald Trump für eine Golfpartie – ein Zufall?
Je tiefer man gräbt, desto spannender wird es in solchen Fällen mitunter – und desto gefährlicher: Im Februar dieses Jahres gab der bulgarische Investigativjournalist Christo Grozev, der u.a. den Giftanschlag auf Alexej Nawalny aufgedeckt hat, bekannt, dass er seine Wahlheimat Wien nach zwanzig Jahren verlassen wird: „Ich vermute, dass es in der Stadt mehr russische Agenten, Spitzel und Handlanger gibt als Polizisten“, wurde Grozev zitiert, den Russland im vergangenen Dezember zur Fahndung ausgeschrieben hat. 5 Fest steht: Die Versager-Liste ist lang – auch in der österreichischen Politik, die, so scheint es, die russischen Geheimdienste besser schützt als ihre Journalisten.
Verweise
1 Peter Jungblut: „Darum darf er bei den Münchner Opernfestspielen singen“, BR-Klassik, 15.06.2023, www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/ildar-abdrasakow-putin-muenchen-bayerische-staatsoper-bassist-100.html
2 Konzertfotos auf der Sputnik-Mediadatenbank: https://sputnikmediabank.com/media/8441520.html?context=list&list_sid=list_305498275
3 Ильдар Абдразаков: «То, что не мое, я не буду делать и за миллион», tatler.ru, 01.04.2018, https://www.tatler.ru/heroes/ildar-abdrazakov-to-chto-ne-moe-ya-ne-budu-delat-i-za-million?fbclid=IwAR0lpquR3r1GRa2QSixqUcYZY-Gbtxp7sdGnnOksRmd64N0_8HH8TGYpuRI
4 Zur Situation in Baden bei Wien bis 1955 siehe die Dissertation von Heidi Angelika Mascher-Pichler, Universität Wien, 2009 - https://services.phaidra.univie.ac.at/api/object/o:1259641/get
5 „Investigativjournalist Christo Grozev verlässt Österreich“, derStandard.at, 01.02.2023, https://www.derstandard.at/story/2000143123211/investigativjournalist-christo-grozev-verlaesst-oesterreich
Zum Thema
Spendenaufruf: Freie Presse gegen ruZZische Kulturpolitik. Wir haben den Nerv getroffen – und damit wir weitermachen können, brauchen wir Sie! – von: Stephan Burianek, 18.06.2023
Putins Propagandakünstler: Im Dienste des Bösen. Wer Anna Netrebko kritisiert, der muss erst recht den nicht minder gefeierten Bass Ildar Abdrazakov unter die Lupe nehmen. – von: Stephan Burianek, 22.02.2023
Ildar Abdrazakov: Die Verlockungen von Macht und Geld. Nach unserem Artikel vom 22. Februar sieht der russische Starsänger in den USA und in Europa seine Felle davonschwimmen. In Russland ist er indes gut versorgt. – von: Stephan Burianek, 26.02.2023
Anna Netrebko: Das doppelte Spiel geht weiter. Bis heute wartet man vergeblich auf ehrliche Worte des Bedauerns der bekannten russischen Opernsängerin. – von: Martin Kienzl, 07.02.2023
„In Russland leben nur wenige ‚echte‘ Russen“. In der Ukraine ist russische Musik verboten. Die krimtatarisch-stämmige Mezzosopranistin Lena Belkina erklärt, weshalb das kein extremer Nationalismus sondern eine Überlebensstrategie ist. – von: Stephan Burianek, 26.02.2023