Deutsches Nationaltheater Weimar

Nur tätige Erinnerung hilft

Mit mehreren Veranstaltungen u.a. im KZ Buchenwald widmete sich das DNT im vergangenen April der „Ressource Erinnerung“. Ein Rückblick auf eine wichtige Themenwoche

Ute Grundmann • 27. Juni 2025

Die Theatertruppe „stellwerk junges theater“ machte Lebenswege von Opfern der Zwangssterilisierung und NS-Euthanasie sichtbar © Matthias Pick

Ein einsamer Strauß weißer Rosen lehnt an einer Hauswand; in die weißen Verschnörkelungen einer nahen Tür sind rote Nelken geflochten. Wenige Schritte weiter sieht man auf dem Appellplatz die blumig-bunten offiziellen Kränze, die an den 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald erinnern. Eine  wichtige Geste jedes Jahr, ebenso eine gemeinschaftliche wie individuelle Verbeugung vor den  Opfern. Doch das Deutsche Nationaltheater (DNT) wollte es nicht bei diesem einen Gedenktag belassen, sondern rief für eine Woche die „Ressource Erinnerung“ herauf, wollte aktuelle Fragen zu unserer Erinnerungskultur auf unterschiedliche Weise stellen und möglichst beantworten. Dazu holte man sich, neben eigenen Theaterproduktionen, Partner an Bord: So begab sich das „stellwerk junges theater“, ein Ensemble junger Erwachsener, auf eine theatrale Recherche zum schweren Thema Eugenik. Lebenswege von Opfern der Zwangssterilisierung und NS-Euthanasie wurden unter der künstlerischen Leitung von „projekt-il“ auf der Bühne sichtbar. Im Rahmen des Projekts „beredtes Schweigen“ zeigten die jungen Leute eine dokumentarische Collage und versuchten so eine Annäherung an das schwierige Thema. Titel: „Ausradiert“.

„Schau mich an“, so der Haupttitel der Ressource, war ein Projekt der Bildungsagenda NS-Unrecht, wurde von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft und vielen Partnern gefördert und gestützt. Auftakt und Mittelpunkt war sicherlich die Neuinszenierung der Oper «Die Passagierin» von Mieczyslaw Weinberg. Die Regie übernahmen Jossi Wieler und Sergio Morabito; Wieler sagte zu den Beweggründen: „Der 80. Jahrestag war eine ganz wichtige Motivation für uns, nach Weimar zu kommen“, wieder, muss man sagen. Weinberg und sein Librettist Alexander Medwedew erzählen in der 1968 vollendeten die Geschichte von Marta, die auf einem Ozeandampfer in den 1960er-Jahren ihrer einstigen Peinigerin, der KZ-Aufseherin Anna-Lisa Franz, wiederbegegnet. Als Regisseure mussten sie eine Übersetzung des Geschehenen finden, ohne das Grauen zu ästhetisieren, so Wieler weiter. Wie das gelungen ist, lässt sich in Werner Kopfmüllers Kritik „Nie wieder ist jetzt!“ nachlesen.

In „Drahtwolken“ wurden Zuschauer zu Mitarbeitenden eines „Zentrums für Zeitsichtungen“ © Candy Welz

Doch es gab eben mehr als dieses Großprojekt. In „Drahtwolken“ wurden Zuschauer zu Mitarbeitenden eines „Zentrums für Zeitsichtungen“, die die Geschichte von drei Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen ermitteln sollen, die in Weimar unter der NS-Diktatur Zwangsarbeit in der Industrie oder in Häusern leisten mussten. Zu diesem interaktiven Theaterspiel des Kollektivs „machina eX“ leistete das Weimarer Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus Zuarbeit. Aber auch eine Lesung aus Erich Maria Remarques Roman „Der Funke Leben“ leistete einen Beitrag zur „Ressource“, erzählt er im Frühjahr 1945, als das Ende der NS-Diktatur schon abzusehen ist, von der alltäglichen Grausamkeit im fiktiven NS-Konzentrationslager Mellern.

Operndirektorin Andrea Moses nahm sich für die Erinnerungsreihe der Kinderoper «Brundibár» von Hans Krása an. 1938 in Prag entstanden, wurde sie 1942/43 im jüdischen Waisenhaus und im Ghetto Theresienstadt viele Male gespielt. In Weimar gab es neben Vorstellungen im Theater auch drei vollständig ausverkaufte Aufführungen in der Gedenkstätte Buchenwald. Die ist von Weimar gar nicht so weit entfernt. Wenige Busstationen vom Hauptbahnhof, dann eine Fahrt durch den Buchenwald, an den Mahnmalen Glockenturm und Obelisk vorbei. Die Busansage der Gedenkstätte klingt allerdings so fröhlich als ginge es zum Goetheplatz. Sieht man dann die Kränze auf dem Appellplatz, ist man schon an der Lagerkommandantur vorbeigekommen, geht dann an langgestreckten Gedenkfeldern vorbei. „Niemand nahm Abschied“ steht auf einer der Tafeln – doch die kleinen Steine, die (nach jüdischer Sitte) als Respekt- und Abschiedsgeste darauf liegen, sprechen eine andere Sprache. Schließlich ist man am „Kammerbau“ angekommen, einem ehemaligen Depot der SS, in dem Kleider und Habseligkeiten der Häftlinge gelagert wurden.

Vor einem großen Schwarz-Weiß-Foto, das Häftlingskinder zeigt, wurde im KZ Buchenwald dreimal die Oper «Brundibár» gespielt © Candy Welz

Hier lässt Andrea Moses «Brundibár» spielen, dafür hat man vom langen Gang längs des ganzen Gebäudes einen Teil abgetrennt, schmale Bänke und einen Mittelgang gebaut. An der Rückwand ist ein großes Schwarz-Weiß-Foto von Häftlingskindern zu sehen, sanft klingen Violine (Gernot Süßmuth) und Cello (Dagmar Spengler-Süßmuth) herein, später wird sich noch ein Akkordeon (Mihail Cunetchi) einmischen. Dann singt der Chor der Schola Cantorum Weimar von Mut, Freundschaft und Solidarität, womit der Grundton dieser Inszenierung angeschlagen ist. Natürlich erzählen sie und später die Kinder selbst, dass sie sich nicht mal ein wenig Geld verdienen dürfen, weil der grimmige Leierkastenspieler Brundibár (Samuel Cermak) hier sein Revier hat. Die beiden Kinder Pepíček (Elsa Johanns) und Aninka (Elsa Langer) tragen Jeans, Sweater und Turnschuhe, sind also durchaus heutig, während der blinkende, bunt kostümierte Leierkastenmann eher fantastisch daherkommt. Ebenso die übrigen Erwachsenen in Anzügen mit überbreiten Schultern. Dazu gibt es noch Hund, Katze und Spatz, die ihr liebenswertes Unwesen treiben und wie alle Darsteller durchaus sichtbar auch neben der Bühne unterwegs sind.

Für diese Kammerfassung spielt (statt wie im Theater die Staatskapelle) das genannte Trio, das Akzente setzt, mit den Kindern trauert, sie aufmuntert, auch vorantreibt. Die Geldscheine, die die Kinder sich so wünschen, werden auch im Publikum verteilt. Aus dem „Marsch der Schulkinder“ wird Hilfe für die zwei, den Widersacher zu bezwingen, der schließlich sogar für deren Gesang Geld gibt. Und zum Schluss fassen sich im Publikum, dazu aufgefordert, alle bei den Händen. Das ist deutliche Aufmunterung, Mut machen gegen das düstere Bild des Anfangs.

Doch damit ist die „Ressource Erinnerung“ noch nicht zu Ende, gibt es Diskussionen etwa zu „Verstummende Zeitzeug*innen“, können sich Besucher künstlerisch mit den Kunstwerken beschäftigen, die KZ-Häftlinge in Buchenwald schufen. Leider nur einen Abend lang waren die Arbeiten zu sehen, mit denen sich Studierende der Bauhaus-Universität Weimar in Filmen, Videocollagen oder Drehbüchern mit der Erinnerung an den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg auseinandersetzten.


Die Themenwoche wurde in der Bildungsagenda NS-Unrecht von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.


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OPE[R]NTHEK / RECLAM
Musik des Widerstands - von: Michael Haas, in: Die Musik der Fremde. Komponisten im Exil
, Reclam Verlag, 2025